Bericht über die Interimstagung 2018

Am 28. und 29. September 2018 fand in Kooperation mit dem Ethnologischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg die Interimstagung der AG Ethnologische Bildung statt, die unter dem Motto „Teaching Anthropology“ 15 Vorträge aus vielfältigen Bereichen der Ethnologie und Bildung präsentierte. Die Teilnahme von knapp 30 Interessierten aus akademischen wie angewandten Kontexten machte deutlich, dass Bildung und Wissensvermittlung ein besonderer Stellenwert in der Ethnologie zukommt, um ethnologische Erkenntnisse und Handlungsweisen darzustellen – nicht nur in der akademischen Lehre, sondern auch für den Transfer in die Öffentlichkeit, in Schulen, Museen oder Betriebe.

Neben dem Austausch in fachlichen Arbeitsgruppen wie der AG Ethnologische Bildung existieren Formate wie Bücher, Blogs oder das Journal „Teaching Anthropology“, die Expert*innenwissen aus unterschiedlichen außer-/universitären Handlungsfeldern verbreiten. Denn Teaching Anthropology bedeutet, das Lehren, Vermitteln oder Beraten in den Vordergrund zu rücken. Ethnologisches Wissen wird auf verschiedenen Ebenen gelehrt und gelernt – durch einen Dialog von (Forschungs-)Perspektiven und Ideen für die Praxis verändern sich wiederum akademische Lehre und Praxisfelder.

Mit der Tagung „Teaching Anthropology“ wurde eine weitere Brücke zwischen Universität und Praxis geschlagen, indem Fragen diskutiert wurden wie: Welche Ideen und Konzepte setzen Ethnolog*innen in spezifischen beruflichen Handlungsfeldern um? Welche innovativen Ideen realisieren Dozierende in der universitären Lehre? Wie forschen Ethnolog*innen im Feld der Bildungs- und Vermittlungsarbeit?

Ziel der Tagung war, neben (interdisziplinärem) Austausch und Vernetzung, insbesondere Einblicke in theoretische Ansätze und Praxis zu erhalten und somit unterschiedliche Verortungen und Verknüpfungen von Teaching Anthropology zu beleuchten – in Schule, Hochschule, Kultureller/Politischer Bildung, beruflicher (Weiter-)Bildung, Erwachsenenbildung, in Museen, Sozialer Arbeit und weiteren Bereichen der Wissensvermittlung und Bildung.

Nach Grußworten der Organisatorinnen – Dr. Anita Galuschek und Verena Schneeweiß, M.A., Sprecherinnen der AG Ethnologische Bildung, sowie Dr. Stefan Müller-Mathis – erfolgte ein Einstieg über „Anthropologische Implikationen des Fremdverstehens – Eine Kritik der Selbstreflexion der Ethnologie“ von Christian Pfenning, der nach der Rolle des eigenen Vorverständnisses gemäß des hermeneutischen Zirkels fragte und das Spannungsfeld verdeutlichte zwischen Reflexivität zur Wahrung eines Objektivitätsanspruchs und einer Reflexivität als generelle Objektivitätskritik.

Für die Übertragbarkeit der ethnologischen selbstreflektiven Haltung in zugängliche Formate gab Anita Galuschek ein Beispiel mit „Changes in Perspectives. From Science to a Graphic Novel”, in dem sie den Übersetzungsprozess von wissenschaftlichen Inhalten in Comicform beschrieb, die interessierten (jungen) Leser*innen das Konzept verschiedener Lebenswelten näher bringen soll. Anknüpfend an solche methodischen Übersetzungsprozesse stellte Moritz Seipp mit „Die Kultur-Übersetzer – Interkulturelle Kompetenzen in der Schule“ ein zielgruppenspezifisches Konzept vor, um Jugendliche mit Migrations- und Fluchterfahrung als kulturelle Mediator*innen zu schulen. Themen der Mediation sind das Schulsystem, Sprachbarrieren sowie unterschiedliche Lehr- und Lernmethoden. Neben der Förderung ihrer Interkulturellen Kompetenzen werden die Jugendlichen auch darin bestärkt, ihre Migrationserfahrung als wichtige Ressource einzusetzen.

Von Kompetenzen zu Wissen ging es im nächsten Themenblock – Stefan Müller-Mathis thematisierte „‘Unser Wissen’ im Kindersachbuch – die Dekolonisation von Wissen als Anspruch in der Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte“. Angesichts von beliebten Themen wie ‚Indianer‘ oder ‚Entdecker‘ sollte in der Praxis der Wissensvermittlung die Reflexion des in post-/kolonialen Zusammenhängen entstandenen Wissens sowie eine veränderte Erkenntnissuche, die auf Dialog und Reziprozität setzt, berücksichtigt werden. Eine entsprechende kritische Perspektive und Reflexion, die es auch in die Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte einzubinden gilt, ermöglicht den Einbezug von Stimmen, Positionen und Perspektiven – entgegen Exotismus und Exklusion. Auch Birgit Sulzer beschäftigte sich mit Wissen, allerdings im Kontext der Nachhaltigen Entwicklungsziele („Ethnologisches Wissen und die Nachhaltigen Entwicklungsziele – Transdisziplinäre Wissensvermittlung am Beispiel des Projektes ‚Zukunft. Global. Denken. SDGs fairbinden!‘“). Das vorgestellte Schulprojekt fördert die Auseinandersetzung mit dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, aber stellt auch individuelle Verhaltens- und Handlungsmuster in einen globalen Kontext und adressiert Ursachen von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Ungleichheiten.

Der Zusammenarbeit mit Schulen widmete sich die Projektvorstellung von Daniel Kiowski, der das „CATS-Schülerlabor – Außerschulische Angebote mit Themenschwerpunkt Asien“ koordiniert, bei dem Schüler*innen der Oberstufe gemeinsam mit Wissenschaftler*innen aktuelle Forschungsfragen bearbeiten. Neben Workshops mit Lehrplanbezug umfasst das Angebot auch Unterstützung für Seminarkurse, Projekttage und Praktika. Auch Nora Braun beschäftigte sich mit dem schulischen Umfeld in ihrem Vortrag „Schule & Herausforderung ‚Diversität‘: Ethnologische Bildung als Baustein für eine Pädagogik des guten Zusammenlebens“. Dabei betonte sie den Bedarf an ethnologischer Expertise sowohl in der Vermittlung kultursensibler Themen im Unterricht als auch in der Lehrerausbildung und -fortbildung. In einem ‚service learning‘ Projekt soll nicht nur der Umgang von Schulen mit Integration analysiert werden, sondern auch gemeinsam mit Forschenden, Studierenden und Lehrkräften Konzepte zur Vermittlung kulturanthropologischen Wissens im schulischen Kontext entwickelt und umgesetzt werden, um das Erlernen multiperspektivischer Sichtweisen auf unterschiedliche Lebensentwürfe als Grundlage eines respektvollen Miteinanders zu fördern.

Mit der universitären Lehre beschäftigten sich Stefanie Samida in ihrem Erfahrungsbericht über „‘Betwixt and between‘ oder Lehre(n) im Dazwischen“, die die zunehmende Vielfalt der Studienfächer und zugleich der Studierenden sowie die damit verbundenen Herausforderungen in der Lehre aufgriff, sowie Desirée Hetzel in „‘Being there’ – ‘being back’. Universitäre Lehre nach der Feldforschung“. Durch ‘being there‘, dem Erlernen von kontextgebundenen, lokalen Praktiken, wird häufig angenommen, dass Ethnolog*innen zu ‚Expert*innen‘ in diesem Bereich werden, ohne dass Momente des Hinterfragens eigener Perspektiven und Überzeugungen sowie der Unsicherheit kommuniziert werden. Sie verwies auf Diskussionen bzgl. des Handelns von Forscher*innen im Feld als auch der ‚Repräsentation‘ nach der Feldforschung – und damit verbunden auch auf Fragen nach den Konsequenzen für die Lehre.

Ein Schritt Richtung Methodenreflexion und Anwendungsorientierung erfolgte mit dem interaktiven Beitrag von Emanuel Rogge, „(How) Do I Know Whether My Didactics Are Innovative?”, der zentrale pädagogische Schlüsselbegriffe als Ambivalenzen gegenüberstellte (Entfremdung & Verbundenheit; Autorität & Selbstbestimmung; übermäßige Anforderungen & Bedürfnisorientierung; Bedeutungslosigkeit & Verantwortung) und mittels Schreibplakaten diskutieren ließ.

Im Anschluss argumentierte Sabine Klocke-Daffa mit „Anwendungsorientierte Ethnologie im Spagat zwischen Theorie und Praxis“, dass es mit einer Erweiterung von (Forschungs-)Perspektiven allein nicht getan ist – „Teaching Anthropology“ unter veränderten Anforderungen an die Ethnologie erfordert Innovationen in Methodik, Analyse und Umsetzung, vor allem aber in unserem Selbstverständnis.

Auch Marie Rickert berichtete aus der Praxis, und zwar im Kontext von Migration und Zeitsprachunterricht: „Die produktive Schwelle – Zum Umgang mit Liminalität in der Zweitsprachenlehre“. Sie beschrieb das Lernen einer Zweitsprache als liminalen Prozess und verwies auf den Umgang verschiedener Akteur*innen mit dieser Liminalität sowie nicht zuletzt auf die Rolle der Lehrkraft im Unterrichtsgeschehen.

Den letzten Themenblock eröffnete Verena Schneeweiß mit ihrem Vortrag über „Machtkritische Bildungsarbeit“, in der sie die politisch-aktivistische Komponente von Bildungsarbeit betonte, bei der Bestehendes individuell und kollektiv handelnd verändert werden soll. Dabei griff sie auf Konzepte von Macht als ‚power to do‘ zurück, die auf das subversive und produktive Potential von kreativer Macht im Sinne einer Macht des Handelns verweisen. Erlernte Wissensbestände und Verhaltensweisen müssen teilweise auch verlernt werden, um neue Formen von Gemeinschaft zu erproben.

Die Verbindung zu Jugendarbeit und Identitätsfragen wurde von Veronika Reiser in ihrem Beitrag „Bildungsarbeit zur Identitätsentwicklung von jungen Erwachsenen im Kontext des Globalen Lernens“ herausgearbeitet. Sie verwies darauf, Identitätsarbeit als permanenten Aushandlungsprozess zu begreifen und mittels entsprechend gestalteter (ethnologischer) Bildungsarbeit zur Identitätsentwicklung von jungen Erwachsenen beitragen zu können. Angesichts der Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auf das Erwachsenwerden ist die pädagogische Haltung zentral, um junge Menschen zu begleiten, in einer komplexen Weltgesellschaft ihre Handlungsmacht zu entfalten.

Auch Astrid Heesch widmete sich der Zielgruppe der Jugendlichen, allerdings verbunden mit Mobilitätsprojekten; sie sprach in „Berufliche Auslandsaufenthalten für benachteiligte Zielgruppen aus dem SGB II. Ein Erfahrungsbericht aus Europa“ über transnationale berufliche Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt. Junge Menschen, die noch nicht in stabile Arbeit oder Ausbildung eingemündet sind, profitieren scheinbar nicht oder nur selten von Auslandsaufenthalten – entsprechende pädagogische Konzepte können diese Zielgruppe mobilisieren und auf ihre Erfahrungen vorbereiten sowie diese nutzbar machen.

Dank der Unterstützung des Ethnologischen Instituts der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, von dem wir Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekamen, und des Zuschusses der DGSKA verdeutlichte die Tagung mit spannenden Vorträgen die Vielfalt von ethnologischen Bildungsthemen, die Verknüpfung von akademischer und angewandter Ethnologie sowie hochaktuelle interdisziplinäre Zusammenhänge.

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